Alleingelassen

Nach langer Suche hab ich vor sechs Jahren endlich eine Therapeutin gefunden, die sich „auskennt“. Sie hat fast nur „solche“ Fälle wie meinen, weiß, was helfen könnte – und weiß aber auch, dass man nie ganz gesund werden kann, dass manche Erlebnisse einen so tiefgründig verändern, dass man die Narben immer haben wird – man kann nur lernen, sie zu akzeptieren und seinen Alltag mit Ihnen erfolgreich zu gestalten.
Das war bei den früheren Therapieversuchen vor über 20 Jahren bei verschiedenen Therapeuten leider nicht so. Da gab’s Tabletten, um mich aufzuheitern oder fassungslose Gesichter. Die Therapeuten konnten irgendwie nichts mit mir anfangen. Vor über 10 Jahren dann ein erneuter Versuch, weil der Druck einfach zu groß wurde. Damals wurde mir erstmal erklärt, dass die Therapie nicht durchgeführt wird, wenn ich mich nicht umgehend von meinem „Partner“ trenne (mein Borderline-Ex). Dass es nicht so einfach geht, sich aus einer Abhängigkeitsbeziehung zu lösen, spielte wenig Rolle. Als mich die Therapeutin bei einem Folgetermin regelrecht versetzt hatte, gab ich auf. Und versuchte – mehr schlecht als recht- mein Leben zu leben.

Bis der Druck vor sechs Jahren einfach zu groß wurde. Die Alkoholsucht hatte mich so stark wie noch nie im Griff, die Phantomschmerzen zwangen mich in die Knie und die soziale Isolation immer stärker. Ein Teufelskreislauf, der mich fürchten ließ, dass ich bald meinen Job verlieren werde. Ich wusste, ich brauche Hilfe oder ich sitz innerhalb von ein paar Wochen auf der Straße. Über eine Hilfsorganisation für Kindesmissbrauchsopfer habe ich dann eben Frau H. gefunden. Ich hatte schnell das Gefühl, dass sie sich auskennt und ich vertrauen kann. Die Therapie hat auch mit extrem langsamen Schritten dafür gesorgt, dass es mir ganz langsam besser geht.

Bis es vor zehn Tagen hiess „ich zieh übrigens weg zum Jahresende“. Das hat mir komplett den Füßen unter dem Boden weg gezogen! Noch schlimmer war der Folgesatz – sie möchte, dass ich 3 Monate stationär in eine Klinik gehe, um mich behandeln zu lassen. Davon war noch nie die Rede! Und alles in mir sträubt sich dagegen – ich habe mir mit unheimlich viel Kraft ein Leben aufgebaut, in dem nicht jeder ahnt, was ich erlebt habe. Ich habe ein Stück Normalität gefunden. Das würde ich nie opfern, indem ich drei Monate (!) in die Geschlossene gehe… Irgendwie fühlt sich der Vorschlag wie Verrat an, ohne dass ich’s begründen könnte.

Und nun? Ich weiss, dass ich Hilfe und Begleitung brauche, um mein Leben stemmen zu können. Aber habe ich die Kraft, nochmal jemand Neues alles zu erzählen, in der Hoffnung, dass er oder sie sich auskennt und nicht überfordert ist von solch einem Fall? Alles nochmal von vorn… die ganzen harten Stunden… Ich fühle mich total allein gelassen und verraten – und soooo müde!!
Werd ich’s schaffen, wieder Vertrauen zu fassen? Werde ich die Kraft haben, nochmal alles zu erzählen? Im der momentanen Verfassung sicher nicht…

2 Kommentare zu “Alleingelassen

  1. Ich habe mich so sehr gefreut, nach so langer Zeit mal wieder von dir zu lesen.
    Viel ist inzwischen passiert und ich weiß nichtmal, ob Du dich noch erinnerst…
    Wir hatten hier anfangs sehr oft geschrieben.
    Flohhusten oder Luise Kakadu und nun Schwurbel Schworbs.

    Es tut mir sehr Leid, dass es dir so schlecht geht.
    Diese Ohnmacht und das Gefühl, dass man verlassen ist, ist furchtbar.
    Ich hoffe und wünsche dir von Herzen, dass es weiter geht.
    Dass Du jemand Neues findest und Hilfe bekommst, die hilft.
    Ganz viel Kraft dafür.
    Liebe Grüße

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  2. Liebe Schwurbel Schworbs,
    Klar erinner ich mich und freu mich sehr dass du meinen Beitrag kommentiert hast! Ich hoffe dir geht es soweit möglich gut!
    Danke für deine Worte – ich weiß noch nicht wie es weiter geht, hoffentlich finde ich die Kraft, nochmal von vorn zu starten… noch ist ein wenig Zeit bis Jahresende!
    liebe Grüsse und alles Gute!

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